Schreiben ist eine Form persönlicher Freiheit (DON DE LILLO)

Herzlich Willkommen auf meinem Blog. Hier möchte ich in unregelmäßigen Abständen meine Gedanken und Positionen zu unterschiedlichen politischen Themen aufschreiben.

18. Mai 2012

Meine Rede zum Betreuungsgeld im Bundesrat vom 11.05.2012


Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Ich bitte Sie, den Entschließungsantrag des Landes Baden-Württemberg abzulehnen.

Das Betreuungsgeld ist unverzichtbar. Es erweitert die Gestaltungsspielräume für die Eltern von ein- und zweijährigen Kindern, die ab 2013 eben nicht einen Krippenplatz brauchen, die die Betreuung ihres ein- oder zweijährigen Kindes selbst leisten oder privat organisieren wollen.

Der Rechtsanspruch auf den Krippenplatz und das Betreuungsgeld gehören untrennbar zusammen. Das Betreuungsgeld wurde 2007 von der damaligen großen Koalition vereinbart und 2008 mit den Stimmen der SPD, Frau Kollegin Altpeter, im SGB VIII fixiert. Das war die Bedingung für die Einführung des Rechtsanspruchs auf den Krippenplatz ab dem 1. Geburtstag.

Nur im gemeinsamen Setting von Krippenausbau und Betreuungsgeld entsteht sinnvolle und zeitgemäße Familienpolitik. Eines allein wäre verfassungswidrig und gesellschaftspolitisch verfehlt.

Vielfalt statt Einfalt – das gilt doch auch in der Wirtschaftsförderung. Oder käme dort jemand auf die Idee, künftig nur noch eine bestimmte Gesellschaftsform zu fördern?

Auch wenn es von den Gegnern des Betreuungsgeldes und einem Großteil der Medien hartnäckig ignoriert wird – meistens, weil es ihnen ihre Story kaputt machen oder ihrer Argumentation den Furor nehmen würde: Das Betreuungsgeld wird weder an Erwerbstätigkeit noch an interne Aufgabenverteilung in der Familie geknüpft. Es spielt keine Rolle, ob Eltern die häusliche Betreuung ihres Einjährigen selber leisten oder sich dazu Unterstützung  organisieren. Es ist egal, ob sie arm oder reich sind. So ist es am 6. November 2011 von der Koalition festgelegt worden, und so wird es kommen. Schließlich steht der Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz auch jedem zu, ob erwerbstätig oder nicht, ob Millionär oder alleinerziehende Kindergärtnerin.

Deshalb ist das Betreuungsgeld so enttäuschend unschuldig. Es ist tatsächlich der falsche Schauplatz für ideologische Grabenkämpfe. Man überfordert das Betreuungsgeld, wenn man es allein mit der Anerkennung von Erziehungsleistung auflädt, was manchem Befürworter im Eifer des Gefechts passiert. Niemand sollte die Qualität elterlicher Erziehungsleistung von der Wahl der Betreuungsform abhängig machen. Auch Krippeneltern erziehen selbstverständlich ihre Kinder gut und geben ihnen Zeit und Zuwendung. Gerade Kinder, die früh und lang in der Krippenbetreuung sind, brauchen übrigens besonders kompetente Eltern; denn Krippe kann im Einzelfall auch Stress sein. Daher ist es auch so unsinnig, wenn immer wieder thematisiert wird, dass Krippen Reparaturbetriebe für Elternversagen sein könnten.

Da das Betreuungsgeld weder an eine Einschränkung oder an einen Verzicht auf die Erwerbstätigkeit geknüpft ist noch eine Eigenbetreuung durch die Eltern voraussetzt – so ist es vereinbart -, gehen auch die rechtlichen Gutachten ins Leere, auf die sich der Entschließungsantrag von Baden-Württemberg stützt; denn sie gehen von diese unzutreffenden Prämissen aus.

Das Betreuungsgeld ist nicht nur nicht verfassungswidrig, sondern es ist im Lichte des massiven Krippenplatzausbaus und des Rechtsanspruchs ein Gebot im Sinne der Artikel 3 und 6 Grundgesetz.

Der Staat hat sich vorgenommen, der Gruppe von Eltern, die ein- und zweijährige Kinder zu betreuen haben, zu helfen; denn die Betreuung kostet in jedem Fall Zeit, und Zeit ist Geld. Der Staat sagt: Das ist jetzt eine öffentliche Aufgabe, wir wollen da helfen. Wir stellen eine Sachleistung zur Verfügung. Das ist der Krippenplatz, der den Steuerzahler 1.000 Euro im Monat kostet. Wer diesen nicht brauchen kann, der bekommt Bargeld, das deutlich niedriger ist.

Eine ähnliche Konstruktion haben wir in der Pflege. Dort kann man die Sachleistung, die Pflegeleistung in der Einrichtung wählen, oder man bekommt Pflegegeld als pflegender Angehöriger. Glücklicherweise käme niemand auf die Idee zu fragen, ob mit dem Pflegegeld richtig umgegangen wird, ob es dem zu pflegenden Angehörigen zugute kommt. Das sagt auch bei der Frage „Krippe oder Betreuungsgeld“ nur derjenige, der die Krippe für den besseren Weg hält.

Wir müssen endlich wegkommen von den Zeiten, da der Staat in Familien hineinregiert und durch Weichenstellungen schlechtes Gewissen erzeugen will, Eltern noch stärker verunsichert, statt sie zu stärken, zu ermutigen, zu stützen und auf sie zu bauen. Der kluge Staat tut das, weil er weiß, er wird nie in der Lage sein, ihre Leistung zu ersetzen. Der Staat kann nur Geld, aber nicht Elternliebe geben.

In der Diskussion ist oft die Frage zentral, ob die Krippe eine Bildungseinrichtung ist. Ja, sie ist eine Bildungseinrichtung, genauso wie jeder Umwelteinfluss Ein- und Zweijährige bildet; nein, wenn dieser Begriff unterstellen soll, was einmal so verheerend falsch formuliert wurde: Wer sein Kind nicht mit einem Jahr in der Krippe hat, lässt es Bildungschancen versäumen! Das war der Beginn einer ideologischen Aufladung der Debatte und Verunsicherung der Eltern unter Dreijähriger, ein Beginn der geradezu zwingend nach einer Balance durch ein Betreuungsgeld als notwendiges Gegenstück gerufen hat; denn Bildungsort Nummer eins ist die Familie.

Vor einigen Tagen wurden wir miteinander durch einen Artikel gegen das Betreuungsgeld strapaziert, der die Botschaft hatte, ein Betreuungsgeld wäre den Franzosen nie eingefallen. In der Tat wäre es den Franzosen nie eingefallen, Eltern, die ihr unter dreijähriges Kind zu Hause betreuen, mit nur 150 Euro abzuspeisen. In Frankreich gibt es ein Betreuungsgeld für die Betreuung zu Hause, das gestaffelt zwischen 323 und 563 Euro liegt, und wenn man mehr Kinder hat, geht es bis zu 805 Euro. Wenn man eine Kinderfrau einstellen will und nicht die Krippe in Anspruch nimmt, übernimmt der französische Staat die Sozialversicherungsbeiträge für die Kinderfrau. Die „SZ“ beschrieb bereits 2009 den Wandel der französischen Familienpolitik, Kinder aus der frühen Krippenbetreuung wieder zurück in die Familien zu holen, unter dem Titel „Ihr Kinderlein kommet zurück“.

Schweden, Norwegen und Finnland fällt es im Traum nicht ein, Eltern unter Dreijähriger mit 150 Euro abzuspeisen, wenn sie keinen Krippenplatz brauchen. Dort ist das Betreuungsgeld deutlich höher, allerdings – das ist richtig- vor allem interessant für Bezieher niedriger Einkommen. Der Grund dafür: Zum Beispiel in Schweden ersetzt das Elterngeld bis zu 90 Prozent des Lohns und ist so flexibel zu handhaben, dass die Eltern dort regelmäßig faktisch Auszeiten nehmen, bis die Kinder zwei Jahre alt sind. Die Krippen nehmen dort kein Kind, das unter eineinhalb Jahre alt ist.  

Ich danke an dieser Stelle einer wahlkämpfenden Sozialdemokratin, die kürzlich geoutet hat, worum es im Grunde geht, nämlich den Kita-Zwang. Da wird die Ideologie klar erkennbar. Das treibt auch die letzten Zweifler in unsere Reihen; denn wir wissen, dass zwei Drittel der jungen Eltern die Betreuung ihres einjährigen Kindes in dieser sensiblen Bindungsphase anders organisieren wollen als mit Krippen. Wir sagen: richtig so! Auch das wollen wir unterstützen.

Wir in Bayern – das ist aber auch bundesweit der Fall; ich finde, da redet man die Anstrengungen der Kommunen immer ein bisschen schlecht – haben eine Dynamik im Ausbau von Krippenplätzen, die sich sehen lassen kann.

Wir in Bayern geben momentan im Jahr über 1 Milliarde Euro nur an Betriebskostenförderung aus. Auf die 340 Millionen Euro, die der Bund nach Bayern gegeben hat, haben wir bis heute 700 Millionen für den Ausbau und die Betriebskostenförderung draufgelegt. Schön, dass Baden-Württemberg langsam auch hinterherkommt! Wir haben eine Bedarfsdeckung, die ihresgleichen sucht, und werden den Rechtsanspruch im nächsten Jahr flächendeckend erfüllen können, bis auf manche Großstädte, wo es noch ein bisschen uneinsichtige Oberbürgermeister gibt.

Wir wollen aber die zwei Drittel der Eltern stützen, die sich eine andere Lösung für ihre Kinder vorstellen, weil unser Menschenbild, unser Bild von der Gesellschaft so aussieht: Vielfalt fördern statt Einfalt. Alle Länder, die hohe Geburtenraten haben, fördern die Vielfalt der Familienentwürfe. Deswegen bitte ich um Ablehnung der Entschließung.